Zum Buch:
Jahrzehntelang behandelte die therapeutische Fachwelt die Probleme von Kindern in Not eher stiefelterlich. Nun geht sie mit großen Schritten und offenen Armen auf die betroffenen Kinder zu.
Die Lehrtherapeutinnen und -therapeuten des Hamburger Psychologischen Privatinstituts für Systemische Beratung fassen in diesem Buch ihre langjährigen Erfahrungen in der Arbeit mit Familien und deren
professionellen Helfern in einem Systemischen Konzept zusammen, das viele Möglichkeiten bietet, Kinder, Jugendliche und deren Eltern in schwierigen Lebenslagen zu unterstützen.
Mit ihrem Buch werben die Autorinnen und Autoren um Verständnis für Menschen in solchen Lebenssituationen, fordern Respekt vor ihren überlebensstrategien und beschreiben Lösungsversuche. Sie geben
Fachleuten aus unterschiedlichen Jugendhilfeeinrichtungen methodische Hilfen an die Hand und tragen mit Reflexionsübungen dazu bei, die eigene Profession zu stärken.
Im inhaltlichen Aufbau folgt das Buch der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Diese Gliederung liegt auch dem Curriculum der Ausbildung "Systemische Therapie mit Kindern und Jugendlichen" der
Systemischen Gesellschaft zugrunde, und kann als hilfreicher roter Faden dienen.
Autoren:
Rainer Käsgen
Harald Ott-Hackmann
Weimar Berlin verlag das netz 2009
Rezensionen:
Rezension von Hans-Joachim Görges (Institut berlin)
Die Systemische Therapie mit Kindern und Jugendlichen ist eine bunte, ernste, anspruchsvolle und lebendige Angelegenheit voller Herausforderung, Neugier und Staunen. Mit dem Band "Lasst uns die Welt
erfinden. Systemische Therapie mit Kindern und Jugendlichen" haben Harald Ott-Hackmann und Rainer Käsgen vom Psychologischen Privatinstitut für Systemische Beratung (PPSB) in Hamburg ein Buch
herausgegeben, dass diese Lebendigkeit und Vielfältigkeit abbildet. Es ist ein kunterbuntes Buch voller Geschichten und Fallvignetten, mit theoretischen Abhandlungen und praktischen Hinweisen,
Einladungen zur Selbsterfahrung und zum In-Frage-Stellen lieb gewordener (Vor-) Urteile. So wie das Leben von Kindern und Jugendlichen nicht in einer geraden Linie verläuft, so nimmt uns auch dieses
Buch mit auf eine Reise, bei der es manchmal drunter und drüber geht, wir die Orientierung verlieren, um schließlich doch immer wieder durch Rahmen und Struktur aufgefangen zu werden. Sehr einfache
Schaubilder und Hervorhebungen wechseln mit einladenden Geschichten und kurzen, prägnanten Theoriestücken. Nach kurzen Abrissen gesellschaftlicher Bedingungen und knapper theoretischer Einordnung des
genutzten systemischen Ansatzes werden Leitlinien einer systemischen Entwicklungspsychologie aus der Entwicklungsbeobachtung unter systemischen Blickwinkeln konstruiert. Als ordnenden Hintergrund
nutzen die Hamburger die altersgestaffelte Struktur des Fortbildungscurriculums "Systemische Therapie mit Kindern und Jugendlichen", das im Rahmen einer Arbeitsgemeinschaft der Systemischen
Gesellschaft konzipiert wurde. Im Vordergrund aber stehen Kreativität und Lust am Erzählen, werden Ideen geteilt und Anregungen gegeben. Nicht nur systemische KollegInnen dürften durch das
Nebeneinander konstruktivistischer Grundlagen einerseits und der Betonung von Prinzipien und Regeln auf der anderen Seite irritiert sein. Bei der Lektüre wird jedoch schnell deutlich, dass es aus
Sicht der AutorInnen zwar eine Menge pädagogisch sinnvoller Rahmenbedingungen gibt, die jenseits systemischer Auftragsorientierung den Kindern Halt geben sollen. Dass aber letztlich der jeweilige
Kontext, die Struktur der Kinder und das Miteinander von Erwachsenen und Kindern bestimmt, was dabei herauskommt. Auf dieser Grundlage werden Informationen über Entwicklungsaufgaben in den jeweiligen
Lebensphasen zu einem interessanten Hintergrundbild für die Betrachtung der vielfältigen Ausprägungen kindlicher Lebensrealität.
So wird es in dem scheinbar unbezogenen Gegenüber von systemischer Sichtweise und pädagogischem Regelwerk möglich, Themen wie Bindung, Traumatisierung oder Kindeswohlgefährdung zu benennen.
Insbesondere das Kapitel zur Kindeswohlgefährdung sei jedem ans Herz gelegt, der mit Kindern und Jugendlichen arbeitet. Von begrifflicher Klärung über die gesetzliche Grundlagen bis zu
therapeutischen Umgangsweisen und Konflikten wird der Blick auf alle wesentlichen Aspekte des Themas gerichtet und dem Leser werden nützliche Informationen an die Hand gegeben. Es fehlt auch nicht
die konstruktivistische Perspektive auf das Thema mitsamt der Dilemmata, in die TherapeutInnen in diesem Feld geraten können. Für solche Perlen nimmt man begriffliche Ungenauigkeiten und Verwirrungen
sowie definitorische Unklarheiten an anderer Stelle gern in Kauf. Die AutorInnen spielen ein wenig mit Konstruktion und Dekonstruktion, ohne sich recht für eines entscheiden zu können. Begriffe wie
"Systemische ADHS-Diagnostik", "Kinder mit ADHS-Struktur" oder "realistisches Selbstkonzept" stören dann manchmal eben deshalb, weil der Einzug des Störungsbegriffes ins systemische Denken und
Handeln dadurch noch einmal - unangenehm - manifest wird. Schade auch, dass Beiträge wie jene zu Kunsttherapie, Traumatisierung, Kindeswohlgefährdung, Suizid und Scheidung der Eltern nur in der
Erörterung der verschiedenen Lebensalter Platz gefunden haben. Dadurch passt mancher methodische Vorschlag so gar nicht zum Lebensalter des jeweiligen Kapitels.
Jenseits dieser kleinen Holprigkeiten können Sie sich in diesem Buch inspirieren lassen von profundem Wissen und nützlichen Anregungen für eine kinder- und jugendlichengerechte therapeutische Praxis.
Es bietet Anregung zur systemischen Perspektive auf unterschiedliche Entwicklungsalter und kann auch von Nicht- Systemikern mit Gewinn gelesen werden. Und fast nebenbei wird deutlich, dass der
systemische Ansatz für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen die Vorteile einer klaren Haltung und einer methodischen Fundgrube verbindet.
Hans-Joachim Görges
Institut berlin
goerges@institut-berlin.de
www.institut-berlin.de
Rezension von Dr. Tilmann Köhler, Kinder- und Jugendarzt, SPZ-"Kinderzentrum Mecklenburg", 19055 Schwerin
Eine veränderte Kindheit, veränderte gesellschaftliche und veränderte familiäre Strukturen unter denen unsere Kinder heute groß werden verlangen von uns Kinderärzten zunehmend das achtsame Hinschauen
und Zuhören, um die aktuellen Probleme, Gefühle, Ängste und Freuden der Kinder und Jugendlichen aufzugreifen und wahrzunehmen. Probleme und Situationen mit denen sich die Kinder auseinandersetzen und
mit den verschiedensten Signalen auf ihre Unsicherheiten sogar Nöte aufmerksam machen. Krankheiten und körperliche Symptome mit Krankheitscharakter sind oftmals die Folgen längerdauernder Prozesse
dieser Auseinandersetzung, die seelische Kraft und Energie kosten, mit den Folgen physio- und psychopathologisch veränderter Reaktionen.
Mit dem, im Herbst 2009, neu erschienen Buch "Lasst uns die Welt erfinden" gebührt den Herausgebern und Mitautoren ein großer Dank, sich diesem Thema von systemischer Sichtweise her zu nähern.
Systemisches Denken und systemische Therapieansätze sind notwendig, um die Komplexizität der Welt, in der die Kinder und Jugendlichen leben zu erfassen, begreifbar und somit therapierbar zu machen.
Dabei ist es notwendig die Loyalität der Kinder zu ihren Eltern bzw. erwachsenen Bezugspersonen nicht zu vernachlässigen. Somit richtet sich das Buch notwendigerweise an alle, die mit Kindern und
Jugendlichen arbeiten, sie betreuen und soziale Hilfsangebote steuern. Für Pädagogen, Lehrer, Kinderärzte, Jugendamtsmitarbeiter und Psychotherapeuten ist dieses handliche, übersichtlich gestaltete
und entwicklungsorientiert aufgebaute Buch als Handreichung auf dem Schreibtisch im Alltag sehr ans Herz zu legen.
Die einführenden Exkurse in die theoretischen Grundlagen der Entwicklungspsychologie zeigen die Einbindung in wechselnde biologische, psychische und soziale Systeme, die somit auch bestätigen, dass
Kinder nicht therapiert oder erzogen werden, sondern stets mit eigenständigen Leistungen Angebote der Interaktion nutzen um sich zu entwickeln. Wesentlich ist für mich die Aussage, dass "gestörte"
Kinder von den Autoren als "kompetente Kinder beschrieben werden, die mit ihren Mitteln versuchen, Lösungen für das Projekt "In dieser Welt überleben" anwenden. Die Autoren beschreiben "Symptome und
Verhaltensweisen als grundsätzliche Interaktionsangebote von Kindern, als Einladung, in geeigneter Form auf Kinder einzugehen" Die Abfolge der Abschnitte in Lebensaltern von der Geburt bis zum
dritten, vom dritten bis sechsten, vom siebenten bis zwölften Lebensjahr werden theoretisch fundiert aber sehr übersichtlich und mit praktisch im Alltag sofort nutzbaren Methoden unterlegt und so
sehr praxisnah dargestellt. Didaktisch sinnvoll ist die farblich unterlegte Hervorhebung wesentlicher Reflexionen und Sentenzen dieser Kapitel. Kurz gefasste und übersichtliche Grafiken sowie
praktische Anleitungen und Zusammenfassungen erleichtern den Gebrauch in der alltäglichen Praxis. Bemerkenswert und hilfreich ist die Einbeziehung der Musiktherapie im Kontext systemischer
Therapieansätze. Die hier vorgestellten Methoden und eindrucksvollen Fallberichte bestätigen die weiterführenden Möglichkeiten und wertvollen Erfahrungen des Rezensenten, die sich in dieser
Therapiekombination im Alltag einer sozialpädiatrischen Einrichtung immer wieder ergeben.